Die Buche
Die Buche

Die Buche

oder: Welchen Weg soll ich gehen?

Jeder von uns war schon einmal in dieser Situation: die Lebensumstände erfordern eine Entscheidung, die große Frage taucht in uns auf: welchen Weg soll ich gehen?

Du bekommst eine hochwertige Ausbildung geschenkt, verpflichtest dich jedoch danach für fünf Jahre bei deinem Arbeitgeber. Du kannst dein Traumhaus beziehen, musst aber 250 Kilometer weit fort ziehen. Du darfst ein Projekt leiten, bist aber nicht zu hundert Prozent von ihm überzeugt, du überlegst deinen Job zu kündigen, um endlich das zu tun, was du immer schon vorhattest. Schlaflose Nächte, Gespräche mit Freunden, Ablenkung durch Netflix, all das bringt dich deiner Entscheidung keinen Schritt näher.

Ich als Baum-Kennerin rate in diesen Fällen zu einer starken Buche.

Meine bedeutendste Ratgeberin wohnt an der Grenze zu Essen-Kettwig. Ich hoffe sie steht noch dort, lange habe ich sie nicht mehr besucht. Damals trieb mich der Gedanke um: soll ich nach 18 Monaten Krankenschein wieder zurück zur Sparkasse? Die Bandscheiben hatten sich verabschiedet, Titan könnte die Rettung sein und die restlichen zehn Jahre wären ein Kinderspiel am Bankschalter. Begriffe wie Rente, finanzielle Sicherheit, Anerkennung und Lebensmodell tauchten in mir auf. Ein halbes Jahr hatte ich noch Zeit zum überlegen, doch welcher Weg sollte der richtige sein?

Ich wohnte zu dieser Zeit in dem Wohn-und Arbeitseinsatzgebiet der besagten Buche. Mein Wissen war noch mager, was Baumenergien betraf. Persönliche Geschichten haben sie mir im Laufe der Jahre erst erschlossen. Da ich ja nun nicht wie in den fast 40 Jahren zuvor in meinem Leben morgens gestriegelt mit Arbeitstasche und Butterbrotdose in die Sparkassenfiliale fahren musste, konnte ich mein Kostüm und die Highheels tauschen in Waldhose und Wanderschuhe. Ich vermisste mein langjähriges Outfit keinen Tag und das ist bis heute so geblieben.

Schon damals betrat ich den Naturraum Wald erwartungsfrei. Meine kindliche Neugierde ist ein Geschenk meiner Großmutter und ich konnte sie mir bis heute bewahren. Aus dieser Neugierde speiste sich mein zusammengetragenes Wissen über die Energien der Bäume. Ich beobachtete mich bei jedem Waldgang ganz genau. Mit welchen körperlichen Symptomen, in welcher Gemütslage ging ich in den Wald und wie kam ich vor allen Dingen wieder heraus? All dies speicherte ich ab, schrieb es auf und kann es heute gezielt einsetzen und an euch liebe Leser weitergeben.

Nun, was hatte es nun mit dieser bedeutsamen Buche auf sich?

Ich habe leider die Angewohnheit, Waldwege zu verlassen. Es ist wie so oft im richtigen Leben, die schönsten Momente sind oft die kleinen, wahre Freunde kann man nicht kaufen und besondere Bäume stehen eben oft versteckt.

So war es auch mit meiner Buche. Intuitiv zweigte ich bei einem meiner morgendlichen Waldgänge an einem Bach links ab. Einen Weg gab es nicht, doch das Gurgeln des Wassers zog mich magisch an. Ich blieb stehen, hörte diesem wunderbaren Geräusch mit geschlossenen Augen zu, fühlte die Sonnenstrahlen, die meine Nase kitzelten, ein Specht meldete sich aus kurzer Entfernung und das Krächzen eines Raubvogels ließ mich dann vollkommen ankommen im Naturraum. Das Betreten dieses Raumes der Natur ist für mich der Eintritt in eine andere Welt.

An diesem Ort gelten ureigene Gesetze. Dort ist es egal, welchen Job du hast, ob du arm bist oder Millionär, ob deine Nase krumm ist und dein Gewicht zu hoch. Die Natur nimmt mich an, so wie ich bin, dort darf ich einfach nur sein. Sich dies bewusst zu machen ist der erste Schritt, um in den Kontakt mit den Energien der Bäume zu gelangen.

Dieses Gefühl machte mich sofort innerlich ganz ruhig und friedlich. Niemand erwartete hier etwas von mir, ganz im Gegenteil, ich wurde an dieser Stelle sogar reichlich beschenkt. All meine Sinne arbeiteten auf Hochtouren, Vogelstimmen, Sonnenstrahlen, plätschernder Bach, modriger Geruch des Laubes. Diese Pause am Bach bewirkte, dass sich all meine Zellen einstimmten auf den nächsten Schritt, nämlich das Finden meines Baumes. Ich hatte mich der Schwingung des Waldes angepasst. Wäre ich abgehetzt, womöglich noch in Sparkassenkleidung gestresst vom letzten Kundengespräch an dieser Buche abgesetzt worden, ich hätte wohl arge Verständigungsprobleme gehabt. Es wäre so ähnlich wie die Tresorzahlenkombination vergessen zu haben und nicht ans Geld für die Kassiererin zu kommen. In Baum-Sprache übersetzt: Im Arbeitsfeld der Bäume habe ich mich auf sie einzustellen und dies geschieht durch: innerliche Ruhe, Achtsamkeit und Neugier.

Wie schon gesagt, der Ruf des Raubvogels ließ mich vollkommen ankommen im Besprechungszimmer Baum. Meine Schwingung war nun angepasst an das meines Umfeldes, ich durfte zum Gespräch. Diese Buche rief mich zu sich. Sie stand etwa zehn Meter vom Bach entfernt. Sie war majestätisch. Ihr Stammumfang war mächtig, ihre Höhe enorm, ihre Äste weit ausladend. Mein Blick blieb jedoch vorerst an ihrem Stamm hängen. Er hatte durch seine Wurzeln einen Sitz geformt. Zwei von ihnen vereinten sich oberirdisch, so dass eine große Kuhle entstanden war. Diejenigen, die mich kennen, ahnen nun schon, was ich als erstes tat, genau ich nahm Platz.

Besprechungszimmer Baum mit sehr bequemer Unterlage für mein Gesäß inklusive verstellbarer Rückenlehne. Diese erhielt ich durch mein hin und her rutschen, bis ich meinen Rücken und Kopf in komfortable Position gebracht hatte. Ich war begeistert. Armlehnen hatte mir meine Buche auch noch zu bieten. Solch einen Platz findet man, wenn man sich einlässt auf die Energien des Waldes.

Ich weiß gar nicht mehr, wie lange ich dort einfach nur saß. Ich hörte den Vögeln zu, schaute von unten in die Baumkrone, vernahm das Rascheln der Blätter und ab und zu hörte ich die Motoren der kleinen Flugzeuge vom nahen Mülheimer Flughafen. Ich war völlig verzückt bis sich mein Gehirn einschaltete. „Musst du nicht noch einkaufen? Wie lange willst du hier eigentlich noch rum sitzen?“

Meine ständige Begleitung, vielleicht kennt der ein oder andere sie ja schon, antwortete sofort darauf: „Mein Gott, jetzt lass sie doch solange sie möchte, mach ihr doch nicht schon wieder ein schlechtes Gewissen!“ Da hatte mich mein Verstand, mein Ego erwischt. Alle anderen saßen im Büro, ich mit meinem Po auf Wurzeln in der Sonne. Musste ich mich rechtfertigen? Ich war krank geschrieben und versuchte auf meine Weise gesund zu werden. Titan in der Halswirbelsäule würde den ärztlichen Heilungsverlauf verkürzen, doch würde ich auch an die Wurzel meiner Krankheit vorstoßen? Es muss doch einen Sinn machen, warum ich nun schon zum zweiten Mal in einer Reha-Klinik war, mein Körper mochte mir doch etwas aus meinem Unterbewusstsein berichten, an das ich mit Titan bestimmt nicht besser heran kommen würde.

Rein intuitiv suchte ich mir damals genau die passende Baumart aus für mein Problem.

Die Buche gilt als die Mutter oder Großmutter im Wald. Man kann sich die Begegnung in etwa wie einen Besuch bei der Oma vorstellen. Gemütlich nimmst du Platz auf ihrer Couch, es gibt Kakao und Kekse und dann spricht deine Oma zu dir: „Na, mein Kind, was hast du auf dem Herzen?“

In dieser Frequenz funkt die Buche. Sie gibt uns Geborgenheit, macht uns innerlich ruhig, nimmt uns auf aus unserem hektischen Alltag und hilft uns dann beim Sortieren unseres Gedankenchaos. Körperlich ist sie sogar im Stande unseren Blutdruck zu senken und Kopfschmerzen verschwinden zu lassen. An ihr beruhigen wir uns und gelangen so in einen Zustand, in dem es möglich wird klare Gedanken zu fassen. Aus einem Knäuel von Bildern im Kopf werden neue Schubladen gebildet, in die man zunächst einsortieren kann. Gut sortiert ist halb gewonnen! In meinem Fall schwirrten Bilder von einer bevorstehenden Selbständigkeit, Arbeitslosigkeit, Existenzängsten, Mutlosigkeit aber auch Freude auf das Neue herum. Wie das Neue aussehen könnte, dafür waren wiederum andere Bäume zuständig. An diesem Ort ging es zunächst nur ums Sortieren, Klären und das Ausloten aller Möglichkeiten. Ich möchte behaupten, die Buche sollte so manches Mal von Projekt-Teams aufgesucht werden. Die Sitzungen könnten um einige Zeit verkürzt werden.

An diesem Morgen habe ich mich noch nicht entscheiden können, die Sparkasse zu verlassen, doch die alte Buche half mir ruhiger in diesem Thema zu werden. Diese Ruhe machte mich besonnener, ließ mich nach weiteren Möglichkeiten suchen, um letztendlich zu einem Entschluss zu kommen. An diesem Morgen legte ich den Grundstein für meinen nachfolgenden Weg ohne es damals zu wissen. Schritt für Schritt begleitete mich meine Buche. Immer wieder suchte ich sie auf, wurde von ihr zum inneren Gespräch empfangen. Sie hörte mir geduldig zu wie meine Oma und gab mir immer beim Verlassen einen guten Rat mit auf den Weg.

Ich wünsche euch von Herzen gute Gespräche mit eurer Buche!

4 Kommentare

  1. Axel

    Eine kleine Zahl von mittelgroßen Buchen im Teuto wirkte angenehm als Rahmen. Das grüne Laubdach hoch über mir sowie Büsche und Boden luden mich ein für eine Pause. Ich setze mich zu einer der Buchen, mein Rücken spürte die Rinde als weichen Puffer. Ich schaute mich um. Wiederholt blieb mein Blick an einer Stelle stecken. Da sah es doch wirklich aus wie ein Strohhalm, der von unten weit nach oben in die Welt der Kronen aufragte. Selbst hatte er dort oben nur einige ausladende Äste, wie Buchen eben gern ihre Individualität zeigen. Er schwankte in der Sonne und mit dem Wind, der hinter dem Bergkamm seine Kraft als leicheter Sturm eingebüßt hatte. Aber wie dieser Halm sich hin und her bewegte, das war beeindruckend. So schlank und doch fest. Wohl konnte er sich das erlauben, weil andere Buchen in der Nähe standen und bereit waren, von oben her nichts anbrennen zu lassen. Alles hatte seine solide Natürlichkeit. Ich fühlte mich geborgen. Dorthin komme ich gern wieder.

  2. Axel

    Nun schreiben wir Mitte November und wundern uns, wie lange die uns so lieben Buchen immer noch weitgehend ein grünes Kleid haben. Gerade nach diesem Sommer mit seiner enormen und langen Hitze hätten sie doch längst Anzeichen von Erschöpfung zeigen können. Nein, sie halten sich bewunderswert aufrecht, machen immer noch “bella figura”. Wie kann das sein? Es sieht so aus, als hätten sie Erfahrung gesammelt und setzten diese gerade jetzt um. Mit dem Alter werden diese Bäume klug, und die Jungen haben auch etwas davon, denn unterirdisch haken sie sich ja unter. Ist das nicht ein tolles Gemeinwesen, das sie pflegen? Für uns.

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