Lass den Wald mal selber machen
Lass den Wald mal selber machen

Lass den Wald mal selber machen

oder wie die Tanne dem Leben trotzt

Ihr dürft mich zu Recht fragen: „Was will sie uns denn heute schon wieder damit sagen?“

Nun, ich kann aus meiner Erfahrung berichten, dass bei einem Waldspaziergang irgendwann einmal nicht nichts mit mir passiert wäre. Mal ist es das Gedanken verlieren, mal ist es das Durchatmen, mal ist es das Nerven beruhigen, mal ist es das Antworten erbitten und manchmal ist es eben so ein Tag wie  der erste Montag in einem neuen Jahr.

Es war der 3.Januar 2022. Es klingt verrückt, doch ich musste zum telefonieren in den Wald. In unserer Wohnung haben wir einen extrem schlechten Handyempfang und Festnetzanschluss besitzen wir nicht. Abgesehen von dem besseren Empfang macht es mir auch erheblich mehr Freude, meinen Gesprächspartner mit in die Natur zu nehmen. Welch ein Unterschied, ob ich nun meine Gedanken und Worte hinter der Schlafzimmergardine formuliere oder ob meine Sätze mit einer Einleitung beginnen wie dieser: „Hallo, nur damit du weißt wo wir beide uns gerade befinden.

Ich nehme dich mit auf meinem Weg in den Tannenwald, du erinnerst dich, der in dem wir beim letzten Gespräch über deinen Vater geredet hatten.“ Nachdem ich diesen Satz ausgesprochen hatte, bemerkte ich sofort bei meinem Gegenüber am anderen Ende ein leises tiefes Ein-und Ausatmen. Ich konnte in Gedanken ihr Lächeln im Gesicht erkennen. Allein die Vorstellung, dass ich sie in Gedanken mitnahm auf meinem Weg zu den Tannen, ließ unser Gespräch erheblich freudvoller, beruhigter, nährender verlaufen.

 Innere Bilder erzeugen bei jedem von uns ein bestimmtes Gefühl, das er damit in Verbindung bringt. Das Bild des Tannenwaldes brachte meine Freundin sofort in eine angenehme wohlige Stimmung, ein Geschenk aus Bielefeld nach Schleswig, mental übermittelt. So einfach funktioniert Energieübertragung!

Wie gesagt, ich nahm sie also in Gedanken mit und wir spazierten am Morgen des ersten Montags im neuen Jahr durch mein geliebtes Kieferngebiet. Während unseres Gespräches ließ ich immer einmal wieder eine Kurzschilderung der aktuellen Ortsbeschaffenheit einfließen. „Ich höre deine Worte gerade beim Anblick einer besonders knorrigen Eiche.“ „Oh, wie wunderbar“, klang es aus Schleswig an mein Ohr in Bielefeld, „Ich kann diesen Baum vor meinem inneren Auge sehen, an dieser Eiche erzähle ich dir gern wie ich Weihnachten verlebt habe.“

„ Ihr abgeworfenes Laub verdeckt die verlorenen Früchte. Ich bleibe hier einfach mal stehen und sammle einige Eicheln mit Hütchen“, sagte ich und ging in die Hocke. Die Sonne lugte gerade hinter der dicken Wolkenschicht hervor. Ich hatte für einen Moment den optimalen Telefonie-Platz gefunden.

 Die Eiche stärkte mich in ihrem Energiefeld, die Sonne versorgte mich mit wertvollem Vitamin D, ich wühlte das Laub etwas auf, um Eicheln zu finden. Dadurch atmete ich noch vorhandene Botenstoffe aus abgeworfenen Blättern ein. Meine Finger berührten den Humus unter den Blättern. Wenn man bedenkt, dass in einem Löffel Humus sich mehr Leben befindet als es Menschen auf unserem Planeten gibt! Diese kurze Rast an der knorrigen Eiche belieferte mich und auch meine Freundin mit verschiedensten Sinnesfreuden. Die Erde fühlen, das Laub riechen, diesen wunderbaren Baum an diesem Ort sehen, die Worte meiner Freundin hören…Dadurch dass ich mit ihr an diesem Platz telefonierte, war unser Gespräch viel tiefsinniger als ich es hinter der Schlafzimmergardine hätte führen können.

Nachdem ich mich innerlich bei der Eiche für diesen schönen Moment bedankt hatte, trugen mich meine Füße wie immer in meinen braunen Wanderschuhen mit dem ausgefransten Schnürsenkel Richtung Tannenwald. Der sollte mein Ziel heute sein. Aufmerksam hörte ich bei jedem Schritt meiner Freundin am Handy zu. Ich telefoniere nicht allzu gern, treffe mich lieber mit dem Menschen, doch 300 Kilometer sind 300 Kilometer. Wenn man wie ich den Luxus Zeit zu schätzen gelernt hat, darf man sich auch seinen Telefonplatz aussuchen. Mann, Frau kann eben nicht alles haben: Job und Geld oder Zeit ohne Geld. Es kommt wie immer im Leben auf die Perspektive an. Sich die Zeit nehmen, um mit einem geliebten Menschen über dessen Sorgen und Nöte zu reden an einem nährenden Ort für beide, dies darf ich dankend annehmen in dieser Zeit des Ausgebremstseins. „Ich kann und darf gerade kein Geld verdienen, dann nutze ich eben die Zeit für Wichtigeres“, kommt mir beim Betrachten meines kaputten Schnürsenkels in den Sinn. Man wünscht sich oft das, was man gerade nicht hat, doch wenn man die Situation im Moment nicht ändern kann, so ist der beste Weg, das Leben einfach so anzunehmen. Wie sage ich immer: „Es hat immer alles seinen Sinn“, und der Spruch hat sich beim Betrachten im Rückspiegel schon so oft bewahrheitet.

Nach einer halben Stunde waren meine Freundin und ich im Tannenwald angekommen. Auf dem Weg dorthin haben wir zwei ein besonders tiefgründiges Gespräch gehabt. „Du, wir zwei sind angekommen“, rief ich ihr nach Schleswig zu, „ich nehme jetzt Platz auf meiner mitgebrachten Plastiktüte. Warte mal kurz, ich schaue mich um. Der schon bemooste Stamm einer verstorbenen Tanne ist glaube ich mein perfekter Ort, um dir weiter zuzuhören. So, ich sitze“, sprudelte es nur so aus mir heraus. „Du, ich sehe dich“, rief mir meine Freundin am Handy zu und ich konnte ihr breites Grinsen im Geiste erkennen. „Kannst du mir deinen Tannenwald kurz beschreiben?“

Ich atmete einmal tief ein und aus, ließ meinen Blick schweifen nach rechts, nach links gen Himmel und auf diesen satt grünen Moosteppich. Meine zweite Haut, ich meine diese braunen Wanderschuhe versanken im unterschiedlich hoch gewachsenen Flickenteppich. Ich kenne mich nicht aus mit Moos-Arten, doch meine Kurzanalyse machte mindestens sechs unterschiedliche Sorten aus, jede hatte seine eigene Wuchsform und Grünschattierung. Ein Maler hätte seine wahre Freude daran. Ich konnte nicht anders, ich musste diesen Teppich streicheln. Die Moos-Enden kitzelten meine Fingerspitzen, wenn ich meiner Hand etwas Druck verlieh, verschwand sie fast in diesem grünen See. „Stelle dir vor, du öffnest eine Türe und betrittst einen komplett grünen Raum“, begann ich meine Schilderung dieses Waldstückes.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert